Einmal Beruf - immer Beruf ... ?

Ich lese z.Zt. PERLMANNS SCHWEIGEN von Pascal Mercier.

Ich habe das Buch im September auf einem jährlich stattfindendem Bücher- und Medienflohmarkt gekauft, auf dem ich mich gern mit Büchern und Musik für den Winter und das Jahr eindecke. Witziger- bzw. passenderweise erging es mir, als ich die Lektüre "zufällig" begann, ganz ähnlich, wie es Perlmann im ersten Drittel des Buches geht. - Da ist mir also wieder mal etwas zugefallen. - Das geschieht nicht zum erstem Mal. Es ist schon öfters vorgekommen. Einmal z.B. habe im mir Das Leben meiner Mutter von Oskar Maria Graf mitgenommen, einfach, weil der Einband mich ansprach, und viele Monate später habe ich es gelesen, "zufällig" aus dem Regal genommen. Während des Lesens hatte ich manchmal das Gefühl von ... mehr ... da kommt noch was. Das war im Frühjahr, dass ich das Buch las. Im Sommer, ich hatte es garnicht vor, wurde ich zu Oskar Maria Grafs Geburtshaus geführt, ich stand auf einmal einfach davor, mit dem Auto. Das war im Rahmen eines vierwöchigen Aufenthaltes im Murnau am Staffelsee, und da war noch mehr ... was ich nicht in Worte fassen kann, aber was mich sehr ergriffen hat ...

Aber jetzt kommt etwas sehr gut in Worte Gefasstes aus Perlmanns Schweigen von Pascal Mercier. Für alle, die es vielleicht doch noch anders machen wollen als scheinbar festgelegt.


"(...) Man müsste eine Möglichkeit finden, sich vom Urteil der anderen und vom Bedürfnis nach Anerkennung vollständig unabhängig zu machen. Frei zu werden, richtig frei. Mit einemmal wurde es in Perlmann ruhiger. Die Wogen von Panik und Verzweiflung glätteten sich, und er hatte das Gefühl, ganz dicht vor einer entscheidenden, einer erlösenden Einsicht zu stehen, der wichtigsten seines gesamten Lebens. Warum sollte es denn nicht möglich sein, sich aus der beruflichen Rolle, der öffentlichen Identität, ganz zurückzuziehen in die private, die eigentliche Person, in diejenige Identität, die ganz allein zählte?

Im Grunde genommen war es doch einfach die Lust am Übersetzen gewesen, seine alte Liebe zum Hin- und Herspringen zwischen Sprachwelten, sein Dolmetschertraum also, der ihn immer wieder zu Leskovs Text hatte greifen lassen. So war er eben, das war doch nichts Schlimmes, dazu konnte er stehen. Nicht die Spur von betrügerischer Absicht war am Werk gewesen, weder bewußt noch als verborgene Unterströmung. Da war er sich vollkommen sicher, das war so, das brauchte er sich nicht einzureden. Und der Rest - der Rest war eben Notwehr gewesen. Er hate Leskovs Text vor sich hingelhalten als einen Schutzschild gegen die zudringlichen Blicke der anderen, gegen ihre ewig gleichen, monoton fortgeschriebenen Erwartugnen, mit denen getan wurde, als entwickelten sich die Menschen linear und ohne Brüche - als bestünde das gelungene Leben darin, die früh, viel zu früh getroffenen Berufsentscheidungen, die zudem diesen Namen kaum je verdienten, in restloser Identifikation, also vollständiger Distanzlosigkeit, Jahrzehnt um Jahrzehnt zu exekutieren. Was willst du einmal werden, was ist aus ihm geworden - das waren die Leisätze der Eltern am Mittagstisch und beim Abendessen, er hatte sie unzählige Male gehört, und sie waren in seine tiefste Tiefe hineingesunken, und noch tiefer. Es waren Sätze, die nie zur Diskussion gestanden hatten, sie kamen mit hypnotischer Selbstverständlichkeit daher, und in ihrer monotonen, gedankenlosen Wiederholung wurden sie zu einer Fermate, zu einem ständigen Hintergrundton, der in seiner teuflischen Unauffälligkeit so ausgreifend und ausfüllend war, dass man auch später gar nicht wußte, wie ein Leben ohne ihn wäre.

Man muß etwas werden, sonst ist man nichts. So lautete das Axiom in seiner perfiden Einfachheit und Offensichtlichkeit. Er würde es nehmen, dieses eherne Axiom, dachte Perlmann, er würde alle seine Kräfte versammeln, auch noch diejenigen aus dem hintersten Winkel der Seele, und dann würde er es mit diesen gebündelten Kräften so lange biegen, bis es brach. Das, was er geworden war, ein angesehener Professor mit Preisen und einer Einladung nach Princeton, das war er seit heute abend nicht mehr, das war vernichtet. Aber deshalb war er noch lange kein Nichts. Es blieb noch viel von ihm übrig, noch sehr viel, und davon hatten die anderen keine Ahnung. Darin würde er sich einnisten, und dann kam es darauf an, die Seele ganz rund zu machen und mit Wachs zu überziehen, damit alles an ihr abglitt und abtropfte, auch die feindseligen Blicke der anderen . Er würde ganz aufrecht, erhobenen Hauptes, durch die Straßen gehen.

Es war ein befreiender Gedankengang. Aber er war noch neu und drohte deshalb, kaum war er abgeschlossen, wieder zu entgleiten. Er würde ihn noch oft wiederholen und gleichsam innerlich aufführen müssen, bis er fest verankert war. (...) "

Aus Kapitel 39, Perlmanns Schweigen, Pascal Mercier.

Gestern abend gelesen. Ich bin gespannt, wie es weitergeht mit dem Perlmann. Er hat sich ganz schön verrannt. Als ich das Buch anfing zu lesen, war ich innerlich in einer ähnlichen Verfassung wie der Held, ausgelöst durch äußere Ereignisse in meinem beruflichen Feld. Das war vor etwa 3 Wochen, Anfang, Mitte Dezember, und ich hatte ein paar rabenschwarze Tage deswegen. Es hat sich aber auch richtig was bewegt. Wenn vielleicht nicht gar so viel im Außen, dann aber absolut umwälzend in mir drin und sehr befreiend.

Seit Weihnachten ist die Energie ganz anders. Es fühlt sich richtig nach Pause an, außerhalb der Zeit, und ich habe das Gefühl, es ist nicht nur Pause, sondern es ist was zuende. Tod und Neugeburt.

Ich fühle mich ganz anders. Dieses Video ist mir zugefallen - das geht in Resonanz

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