Fluß des Lebens - Wie ich den Wechsel meines Arbeitsplatzes erlebe


Alles neu macht der Mai, heißt es, und ich habe mit dem Monat Mai meinen Arbeitsplatz gewechselt. Innerhalb der "Firma" in ein anderes Wohnheim. Ich arbeite mit erwachsenen Menschen mit Handicap im Bereich Wohnen und betreue die Menschen in ihrer Freizeit, begleite sie und helfe ihnen bei der Verrichtung alltäglicher Dinge außerhalb des Arbeitsplatzes.

- Ich meine ja jedes Jahr, alles neu macht nicht der Mai, sondern der April, wenn in der Natur der Frühling ausbricht. - 😊🌸🌳🌷🌲🌼🌻🌺😊 Und so wurde der Impuls für den Wechsel bei mir auch schon früher gelegt, schon im März, als mein "alter" Heimleiter (er ist 26 😊) mich fragte, ob ich noch Intersse daran hätte, in dem Wohnheim in B. zu arbeiten. Ich hatte den Gedanken ihm gegenüber einmal geäußert: Dass, wenn ich schon bei einem Träger angestellt bin, der etliche Wohnheime und Werkstätten betreibt, ich auch gern in verschiedenen Einrichtungen arbeiten würde, um sie kennenzulernen - im Hinblick auf meinen Sohn, der das Down-Syndrom hat, um zu schauen, was für ihn vielleicht mal in Frage käme als Wohn- oder Arbeitsform. Mein neues Wohnheim ist nun die dritte Variante, die ich bei diesem Träger kennenlerne.

Mein Sohn ist 11 und ich denke, wenn er mal so weit ist, dass er arbeiten geht oder ausziehen will, wird es Möglichkeiten für ihn geben, von denen wir jetzt vielleicht noch garnichts wissen. Vielleicht zieht er einfach mit Freunden "ganz normal" in einer WG zusammen. Ich bin diesbezüglich ganz zuversichtlich und vertraue darauf, dass sich das Beste für ihn auftun wird. So ist es bisher immer gewesen. Er war immer an guten Orten mit "guten Menschen". Er hat einen inneren Navigator und ist bestens geführt und beschützt. 🙌 💫 💞 - Das nur am Rande.

Der Satz bildet aber auch ein Stichwort zum Thema dieses Artikels: Der innere Navigator und bestens geführt und beschützt sein. - Diesen Satz bewussst-vertrauensvoll als Grundgegebenheit des Lebens nehmen. Ich muss nicht kämpfen, um nichts und für nichts. Das Leben gibt mir alles in der für mich besten Form. (Auch, wenn ich selbst das manchmal anders sehe. 😉) Ja, ich kann garnichts erkämpfen, wenn ich es versuche, produziere ich Chaos, und alles, was nicht passt, wird mir eh wieder genommen. Bzw. ich erreiche es garnicht erst. Und dieser Prozess tut weh. Wie im Buch "Stein und Flöte" von Hans Bemmann der Zirbel sagt:
“Es ist schon eine Last mit euch Menschen!
Immer treibt es euch  weiter, weil ihr meint,
ihr müsstet euch das aus eigener Kraft zusammenraffen,
was man nur geschenkt bekommen kann.“
Hans Bemmann
Als mein "alter" Heimleiter mit seiner Frage an mich herantrat, dachte ich zunächst: 'Nö, lieber nicht, ich bleibe hier.' Ich hatte mich dort in gut zweieinhalb Jahren gut eingearbeitet, hatte mir auch eine gewisse Komfortzone eingerichtet, und fühlte mich leidlich wohl mit meinem Job. Zwar bestanden für mich auch noch Missstände: allen voran eine übergriffige Kollegin, gegen die ich nicht so ankam, wie es mein Ideal gewesen wäre: mutig, aufrecht, immer klar und deutlich in Haltung und Kommunikation. Aber sie hat durch ihr Verhalten die genannten Eigenschaften in mir trainiert und dafür kann ich ihr danken. 😊

Überhaupt war in der Einrichtung viel in meinem Sinne geschehen in der Zeit, die ich dort war, viel Wandel, viel Entwicklung, und zwar genauso, wie ich es nötig fand ... und wünschte. Sehr viel Grundlegendes hatte sich verändert, manches fast unglaublich. Manches hatte ich magisch behandelt und es hat sich verwirklicht. - Vielleicht mache ich dazu noch einen Film auf youtube, was ich praktisch getan habe, oder es gibt noch mal einen Artikel für sich. - Im Grunde glaube ich, der Wandel hat sich vollzogen, weil ich mich mit meinen Problemen, die ich da hatte, auseinandersetzte und sie nicht unterdrückte, auch wenn es zeitweise total unangehm für mich war und ich alle die Herausforderungen am liebsten nicht gehabt hätte. Aber Annahme öffnet die Türen für Wandel und Heilung und in den offenen Türen stehen hilfreiche Kräfte. Die darf man annehmen und handeln, ob "magisch" oder ganz pragmatisch "realistisch". "Magisch" handeln wir sowieso immer mit unserer inneren Haltung. Verstärken und bewusster machen und um Hilfe bitten kann man durch rituelle Handlungen. Und pragmatisch "realistisch" zu handeln verlangt uns das Leben auch ohnehin jeden Tag ab. Eins geht nicht ohne das andere. So wie außen ohne innen nicht ist.

Nachdem ich also zunächst gedacht hatte, ich bleibe wo ich bin, aus oben genannten Gründen, kam eine kurze Regung meines Egos und das fragte: 'Will der mich loswerden?'  Darauf bin ich zum Glück nicht eingestiegen. Vielleicht nicht zuletzt deshalb, weil mir ein paar meiner Kolleginnen wiederholt sehr lebhaft vorgeführt hatten, wie - ja, ich sag's so: BESCHEUERT solche Spekulationen des Ego sind. Sie konnten sich stundenlang und sehr emotional in spekulativen Beschuldigungen und daraus resultierendem Selbstmitleid ergehen. Das war für mich schwer zu ertragen. Wenn ich einlenkte (dass das doch pure Spekulationen seien und es wäre vielleicht besser, sich nicht darin zu verbeißen und so arg aufzuregen) - na, da fielen sie über mich her und zogen hinterher weiter vom Leder. Dass mich das Ganze möglicherweise dahingehend geschult hat, selbst bewusster und verantwortlicher zu werden, wenn solches Verhalten bei mir selbst auftaucht - die Erkenntnis kommt mir erst hier und jetzt beim Schreiben. - Ich merke wieder: Auch die für uns unangenehmen Situationen sind stets für irgendwas gut 😉 😍

Außerdem war dieses Verhalten mancher Kolleginnen mit Anlass für mich, das Angebot, in ein anderes Wohnheim zu wechseln, nicht gänzlich abzulehnen. Das neue Wohnheim liegt zudem gleich bei mir um die Ecke, im benachbarten Kurort, knapp 5 km von meinem Zuhause entfernt. Zum alten Wohnheim sind es fast 25 km. Das z.B. machte ein ernsthaftes Erwägen eines Wechsels schlichtweg naheliegend. Ich erbat mir eine Woche Bedenkzeit. In dieser Zeit war ich innerlich ganz neutral und unaufgeregt und der Gedanke tauchte auf: 'Wenn das so an mich herangetragen wird, nehme ich es als Fluss des Lebens und folge ihm.'


Ich vereinbarte einen Hospitationstermin im Wohnheim und duchlief an einem Nachmittag die drei Wohngruppen des Hauses. Die Arbeit ist intensiver als in meinem alten Heim. Die Bewohner sind pflegebedürftiger und brauchen mehr Unterstützung. Viele werden geduscht, es gibt einige Rollstuhlfahrer, der körperliche und zeitliche Arbeitsaufwand scheint höher zu sein, als es bisher für mich der Fall war. Dennoch dachte ich: 'Doch, ich glaube, ich mach's' und führte die entsprechenden Gespräche, so dass der Wechsel in die Wege geleitet wurde.

Die ganzen Wochen, die diese Entwicklung dauerte, war ich innerlich meistens ganz neutral. Natürlich hatte ich zu der Fragestellung für mich orakelt: Soll ich wechseln oder soll ich bleiben wo ich bin? Die Orakel und die Karten sagten: Geh ruhig. Und: Das eigentliche Thema geht eher in Richtung "Geben und Nehmen",  "Liebe", dass ich nicht an kleinlichen Überlegungen festhalten soll und "Wenn Du in Deiner Mitte bist, wenn Dein Licht strahlt, ist es egal, wo Du bist oder arbeitest, dann kannst Du überall sein." - Das waren die Aufmunterungen, das Angebot anzunehmen 😊. Jetzt, wo ich die ersten 4 Wochen im neuem Heim fast hinter mir habe, kann ich sagen: Das GESCHENK anzunehmen. 😊🌸🌳🌷🌲🌼🌻🌺😊

Vielleicht vollziehen sich Wandlungen im Inneren leichter, wenn sich auch im Außen was ändert. Ein bisschen Schiss vor der Veränderung hatte ich, aber ich habe immer an den Fluss des Lebens gedacht und dass ich einer höheren Choreografie unterstehe. 
Als ich die Entscheidung, das Angebot anzunehmen, getroffen hatte, traf ich ein ehemalige Arbeitskollegin, die nun für einen anderen Träger arbeitet, und die mir von ihrem neuen Arbeitsplatz vorschwärmte. Ich hatte mich vor einigen Monaten, als die Herausforderungen an meinem alten Arbeitsplatz für mich arg waren, selbst bei diesem Träger beworben und hätte auch hingehen können, entschied mich aber aus Arbeitszeit- und nicht zuletzt aus finanziellen Gründen dagegen. Nun dachte ich: 'Wenn ich will, kann ich doch auch noch dorthin gehen. Vielleicht in einem Jahr oder in zwei - wenn ich jetzt meinen Arbeitsplatz wechsele, erleichtert das eventuelle noch folgende Veränderungen.' - Wer weiß.

Als die Sache mit dem neuen Wohnheim dingfest war und es hieß, zum 1. Mai wechsle ich, fiel mir irgendwann Mitte April ein Bild vor die Füße. Es hing jahrelang an meinem Küchenschrank und just jetzt segelte es herunter: Ein Leuchtturm in mehr als rauher See.


Das Bild gibt es als Kunstdruck HIER.

Beim Aufheben dachte ich: 'Ich muss fortan kein Leuchtturm mehr sein, muss mich nicht mehr im Sturm behaupten. Die Wogen glätten sich und das Meer wird ruhig werden. Die Zeiten des rauhen Seegangs und der Einsamkeit sind vorbei ....' - Ich habe das Bild nicht wieder aufgehängt.

Zwei, drei Tage später saß ich abends und übte Gitarre, spielte meine Lieder. Ich wollte die Gitarre stimmen, aber mein Stimmgerät zeigte nicht richtig an, die Batterien waren leer und ich hatte keine Knopfzellen im Haus. Ich entsann mich meines alten Stimmgerätes und suchte und fand es in der Gitarrentasche. Zusammen mit dem Stimmgerät zog ich ein Liederbuch aus der Tasche: "Frei wie der Wind - Reiselieder". Ich blätterte ein bisschen darin herum und landete bei Boat on the river. Schon oft hatte ich diese Seite überblättert, aber das Lied noch niemals gespielt. Jetzt probierte ich es, es sprach mich irgendwie an, lies mich nicht nachlässig weiterblättern - und es spielte sich wie von selbst. 

Ich googelte und übersetzte mir den Text.
And all roads lead to Tranquility Base
Where the frown on my face disappears
So führen alle Wege zu diesem Ruhepunkt, der die Sorgenfalten auf meiner Stirn auslöscht.

Ich fühlte mich persönlich angesprochen und war tief berührt. 

Im Heft war auch ein Lied von Arlo Guthrie. Ich versuchte, es zu spielen, aber es gelang mir nicht, ich hatte die Melodie nicht recht im Ohr. Ich suchte in meinen alten Schallplatten, weil ich 2 Platten von Arlo Guthrie habe und dachte, das Lied wäre auf einer der beiden drauf. War es aber nicht; dafür kam über diesen Weg ein weiteres Fluss-Lied zu mir: Sailing down my golden river. Wieder war ich ganz ergriffen vom Text, von den Botschaften, der Schwingung. (Der interessierte Leser möge sich den Text selbst ergoogeln oder im Lied hören.) Ich googelte nach den Akkorden dieses alten Liedes, fand sie gleich, sie waren ganz einfach und auch dieses Lied spielte sich wie von selbst. Die Lieder haben mich tagelang begleitet. Außerdem noch River of dreams von Billy Joel, das stahl sich auch noch in mein Ohr. 

Das waren meine Auferstehungslieder. Es war ein magischer Prozess.

Am Tag meines ersten Dienstes im neuen Heim, ich hatte einen Spätdienst ab 16:00 Uhr, spielte ich sie auch am Vormittag auf der Gitarre. Ich bekam währendem lauter Schauer. Danach saß ich in meiner Küche auf einem Stuhl und ... ich kann's nicht sagen. Ich würde sagen, es waren mystische Erlebnisse. Ich habe geweint und gelacht, aber beschreiben kann ich es nicht.  

Es ist noch etwas, wovon ich auch nicht weiß, ob ich es adäquat ausdrücken kann, es gehört aber dazu und vielleicht ist es nicht nur für mich persönlich gemeint, sondern hat noch eine allgemeinere Bedeutung. Zu den "Flussliedern" hinzu kam noch By the rivers of Babylon (Boney M.) und damit verwoben der Chor der hebräischen Sklaven aus der Oper Nabucco von Giuseppe Verdi. Der Text dieses "Gefangenenchores" beruht auf dem Psalm 137 (auch ergoogelt 😉) und dieser 137. Psalm hat Eingang in noch mehr Pop-Songs gefunden, nicht nur in Rivers of Babylon (und den Gefangenenchor - Italo-Pop-Anno-1850 😊). Das Thema schwingt also kollektiv, Poeten und Musiker erspüren sowas ja intuitiv, greifen es auf und geben ihm Ausdruck. Es geht in diesem 137. Psalm auch darum, dass von den versklavten Menschen in der Gefangenschaft verlangt wird, ihre heiligen Lieder zu singen, aber sie vermögen es nicht, wegen der äußern Umstände. Sie können in der Gefangenschaft nicht jubeln und manches Wahre kann vielleicht nur dort gesungen werden, wo es herkommt, wo es hingehört, wo ihm der gebührende Respekt entgegen gebracht wird und wo es seine geborgene Heimat hat. Wenn man nicht angekommen ist, innerlich, kann man es nicht zum Ausdruck bringen und es kann nicht auf die Erde kommen. Wenn man es versucht, findet man womöglich nicht die rechten Worte oder man wird ohnehin nicht erhört - s. die Episode von mir und meinen Kolleginnen weiter oben, und dieses Beispiel ist vielleicht doch keine kleinliche Überlegung, sondern Ausdruck einer Wahrheit. 😏

Ich lerne übrigens seit einem Jahr Gitarrespielen und singe dazu. Etwas, worin ich mich als Teenie schon einmal versucht hatte und was dann zum Erliegen gekommen war. Jetzt (vor einem Jahr, mit 52) habe ich es wieder aufgegriffen. Und auch das hat mir der Fluss des Lebens an meine Ufer gespült. Schritt für Schritt. (Diese Geschichte erzähle ich jetzt nicht, ist eh schon viel länger als gedacht, der Text hier.) 🎸🎵 😊 Jedenfalls hatte ich beim Singen "meiner Flusslieder" in meinem "Auferstehung-Prozess" auch das Gefühl, ich sei wieder ein Teenie und würde eine andere Abzweigung nehmen als die, die ich damals nahm.


Wir verlassen die Länder, in die wir verschleppt wurden, wir verlassen die Sklaverei. Wir sind frei. 

Ja, wir werden jeder, jede, an den für ihn und sie vorgesehenen Platz gebracht. Durch den Fluss des Lebens. In mein gelobtes Land. Gelobt - es wurde uns versprochen. Während ich es schreibe, ist es mir sowas von gewiss. Es finden alles umwälzende Befreiungen und Zurechtrückungen statt. Allerorten. Für jeden Einzelnen. Nach und nach. Alles auf einmal. Es geschieht.

Ich fühle mich wohl im neuen Wohnheim. Mein Hals ist frei. Zu meiner alten Arbeit bin ich oft gefahren mit einem Kloß im Hals. Ja, ich bin noch neu, aber es sind grundlegende Sachen, die ich wahrnehme und die mich zuversichtlich und zutrauend machen. Wie geredet wird z.B., in der Übergabe, im Team, mit den Betreuten. Sachlich und zugleich ... liebevoll, man spürt eine wertschätzende Haltung. Das war in meinem alten Heim anders.

Z.Zt. meine ich, ich habe mit meinem neuen Arbeitsplatz das gelobte Land erreicht. 😊 Das kann ich sagen. Und jetzt höre ich auf. Vielleicht hast Du beim Lesen nicht viel gefühlt, aber ich bin mir sicher, nach und nach werden alle ihre Auferstehungsschauer erleben .... Geh' einfach mit dem Fluss des Lebens.

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